Es ist ein Heldendenkmal, das den Held zunächst gar nicht zeigte. Es ist ein Monument für eine Nation, aber möglichst weit entfernt vom Volk. Und es ist ein langer Weg bis zur Spitze. Ich besuche das National Wallace Monument.
Zunächst scheint hier alles klar: William Wallace, seit dem Film mit Mel Gibson bekannt als „Braveheart“, besiegte im 13. Jahrhundert bei Stirling den englischen König Edward I. Er wurde später verraten, verurteilt und in London aufgehängt, ausgeweidet und viergeteilt. All das, weil er sich weigerte dem englischen König Treue zu schwören. Noch während seiner langen und qualvollen Hinrichtung soll er die Engländer übelst beschimpft haben.
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Soweit, so heldenhaft. So einem Menschen kann man schon ein Denkmal setzen.
Doch der Bau des National Wallace Denkmal wurde erst ab 1860 begonnen – gut 500 Jahre nach seinem Tod also. Warum zu dieser Zeit? Und warum wurde ausgerechnet er ausgesucht und mit so einem großen Turm bedacht? Schließlich gab es noch viele andere Helden in Schottland. War er damals schon so bekannt, wie er bei uns durch den Film Braveheart mit Mel Gibson bekannt wurde?
Das will ich herausfinden und mache mich auf den Weg in die Nähe des Kurortes Bridge of Allan zum Hügel Abbey Craig, um dort das 67 Meter hohe National Wallace Monument zu besuchen und zu verstehen, was die Menschen damals bewog, diesen Turm zu bauen.
Ich komme am Fuße des Abbey Craig an, dort steht das Visitor Centre zum Denkmal. Besucher müssen hier durchgehen und zahlen, um schließlich auf den Weg zu kommen, der einen zum eigentlichen Denkmal hoch führt. Parallel verläuft eine kleine Teerstraße, auf der ein Shuttlebus Besucher nach oben bringt. Ich wähle natürlich die harte Tour, den Aufstieg zu Fuß.
Das Denkmal war nicht für das gemeine Volk gedacht. Es war weit weg von den Arbeiter- und Ballungszentren, die sich ebenfalls um das Monument bemüht hatten. Das National Wallace Monument war gemacht für die viktorianische Elite, die sich die Reise leisten konnte – zeitlich wie auch finanziell.
Dennoch war der Ort nicht willkürlich gewählt. Zum einen wartete Wallace Armee seinerzeit auf dem Abbey Craig, ehe die Schlacht an der Stirling Bridge stattfand. Zum anderen – und das erfahre ich selbst, als ich beim Aufstieg dem Schild zum View Point folge – bietet der Hügel auch heute noch einen wunderbaren Ausblick auf die Ochil Hills.
Doch weiter auf dem Weg durch den Park des Abbey Craig. Noch ein paar Minuten Wandern und ich stehe vor dem Eingang des Monuments, der gekrönt wird vom Wappen der Familie Wallace und einer schottischen Distel.
Rechts davon am Eck des Turmes steht gut sichtbar die Statue des Helden selbst. Doch das war zu Beginn nicht so. Der Turm war ohne Statue geplant – und damit erinnerte bei der Einweihung 1869 äußerlich fast nichts an William Wallace. Erst 1887 wurde seine Statue hier installiert, also 18 Jahre noch Eröffnung des Turms. Ein seltsames Denkmal war das damals.
Nun aber weiter, ich will schließlich ganz hoch. Die Treppe übrigens, verläuft nicht komfortabel im großen Turm. Sie windet sich stattdessen an einer Ecke des Baus entlang, für Licht und auch Kälte sorgen schießschartenartige Fenster. Es ist eng, immer wieder muss ich mich an die Wand drücken, um anderen Besuchern auszuweichen.
Eng waren auch die Korsetts der Damen, die sich im 19. Jahrhundert hier hoch quälten, für sie war der Aufstieg in breiten Kleidern sicher beschwerlich. Und für manche ist er es heute noch. Gut, dass es immer wieder Etagen gibt, auf denen man sich ausruhen kann.
Im Ersten Stock zum Beispiel der Waffenraum, der auch über die Geschichte und Hintergründe der Schlacht aufklärt:
Im Zweiten Stock wird neben allerlei Büsten berühmter Schotten auch das Schwert von William Wallace ausgestellt.
Naja, zumindest steht dort das, wovon man einst glaubte, es sei das Schwert des Freiheitskämpfers. Heute wird von einigen Experten angezweifelt, dass das Schwert im National Wallace Monument seine Waffe war. Einzelne Teile passen einfach nicht in die historische Zeit – zum Beispiel die Klinge. Also verlasse ich den Raum wieder über die Wendeltreppe.
Aller guten Dinge sind drei. Und tatsächlich: in der dritten Etage finde ich endlich die Antwort auf meine Frage, warum ausgerechnet dieses Monument zu dieser Zeit für diesen Helden:
Am einleuchtendsten erscheint mir das Thema der Mode: Damals waren solche Denkmäler einfach „in“. Zudem schuf man so auch eine Einnahmequelle, denn auch zu viktorianischer Zeit kostete der Eintritt bereits Geld. (Welche Rolle die Politik damals gespielt hat, erkläre ich gleich noch im Wissensbereich des Artikels). Ich bin jedenfalls zufrieden mit den Antworten und will nun auch noch die letzten Treppen erklimmen.
Endlich erreiche ich die Aussichtsplattform in der Kronenspitze des National Wallace Monument. Der Blick ist atemberaubend schön, eingerahmt wird er von einer ausgefeilten Architektur:
Der Abbey Craig erhebt sich 91 Meter und dazu kommen noch die 67 Meter des National Wallace Denkmals selbst. So kann man also weit ins Land blicken. Besonders schön sind von hier aus die Schleifen des Flusses Forth zu erkennen:
Ich kann mich nur schwer von dem Anblick losreißen, doch irgendwann wird es auch bei gutem Wetter zugig hier oben. Und schließlich wollen auch weitere Besucher hier in Ruhe genießen können. 120.000 pro Jahr sind es im Schnitt. Rund zehnmal so viel wie zu viktorianischer Zeit.
Kein Wunder: Entfernungen spielen nicht mehr die Bedeutung von einst, die Welt schrumpft. Mit dem Auto kommen die Bürger Glasgows in einer dreiviertel Stunde zum Wallace Monument, können die Natur des Parks genießen und vieles über den Freiheitskämpfer erfahren. Heute, rund 150 Jahre nach Eröffnung ist das Denkmal nicht mehr nur den Eliten vorbehalten.
Wissen: Politik und das National Wallace Monument
Das National Wallace Monument war auch ein Versuch der Umdeutung und Nutzbarmachung eines Heldenbildes. Denn zu Beginn und in der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Großbritannien die Chartisten-Bewegung. Ihre Ziele: Gewerkschaften, bessere Arbeitsbedingungen und ein allgemeines Wahlrecht. Eine Hochburg dieser Bewegung war Glasgow, wo sich einmal 150.000 Anhänger der Bewegung trafen.
Wallace war für diese Bewegung ein passender Held. Einerseits mit nationaler Gesinnung, vertrat er aber gleichzeitig das Bild von Freiheit. In der Zeitung „Chartist Circular“ veröffentlichte Thomas Campbell 1841 das Gedicht „The Dirge of Wallace“ – „Die Totenklage von Wallace“, in der der Autor subtil aktuelle Interessen mit dem früheren Freiheitskämpfer verband. Die Chartisten scheiterten bald, doch hatte sich gezeigt: Wallace konnte ein Held für jede Bewegung sein.
Die damaligen Eliten waren samt und sonders Unionisten verschiedener Ausprägung, die darüber stritten wie viel mehr oder weniger Vereinigung man in Britannien haben mochte. Dennoch machten sie sich den schottischen Freiheitskämpfer zu eigen, wollten ihm ein großes Denkmal setzen.
1856 gab es Wettbewerbe unter Architekten, John Thomas Rochead gewann die Ausschreibung schließlich. Sein Entwurf zeigte den damals gerade modernen Scottish Baronial Style, eine Architektur, die auf Zinnen, kleine Wachtürmchen und Stufengiebel setzte – was dem Denkmal deutlich anzusehen ist. Kritiker bemerkten damals zurecht, dass der Turm optisch kaum an Wallace erinnerte. Erst die Statue, die Buntglasfenster und ein Jahr später das Schwert zeichneten den Helden deutlicher.
Persönliche Anmerkung: In Dillenburg steht ein ähnliches Denkmal
Dass tatsächlich in ganz Europa solche Denkmäler entstanden, hat mich ein Ausflug in die Heimat meiner Frau gelehrt. In Dillenburg in Hessen steht ein ganz ähnlicher Turm, der in diesem Fall an Wilhelm von Oranien erinnern soll: der Wilhelmsturm. Er wurde 1875 eröffnet.
Auch hier wird auf verschiedenen Etagen einem Freiheitskämpfer gedacht. Sein Geschlecht sollte übrigens noch eine wichtige Rolle auch für Schottland spielen. Denn Wilhelm III. von Oranien-Nassau löste die Stewart-Monarchie auf dem britischen Thron ab. Die Folge waren die späteren Jakobitenaufstände, die schließlich mit der traurigen Schlacht bei Culloden ihr Ende fanden.
Anfahrt:
Mit Navigationsgerät: Die Eingabe von „FK9 5LF“ bringt einen ganz in die Nähe des national Wallace Monument.
Ohne Navi: Kommt man von Glasgow oder Stirling Castle, führt einen der Weg zunächst durch Bridge of Allan. Hier aufpassen. Die Beschilderung ist nämlich nicht ganz klar und im ungünstigen Fall fährt man einmal mit der Kirche ums Dorf. Man muss zwischen „The William Wallace“ und „The cooperative“ in die B998 oder Logie Road einfahren. Dann kommen weiter Schilder, die einem zum Parkplatz führen.
Von Edinburgh aus fährt man auf die M9 und dann auf die A91 nach Stirling. Immer auf der A91 bleiben, bis die braunen Schilder den Weg zum Wallace Monument ausweisen.