Sie ist die erste legale Destillerie der Äußeren Hebriden: Abhainn Dearg. Hier wird noch alles per Hand gemacht. Nur eines fehlt …
Denn wer in und um die Abhainn Dearg Distillery überbordende Romantik sucht, wird sie nicht finden. Kein Besucherzentrum mit Coffee-Shop, keine bunt angemalten Türen an weiß getünchten Gebäuden, wie man es vielleicht von der Edradour Distillery kennt. Es dominiert schlichtes Betongrau unter roten Blechdächern. Abhainn Dearg steht damit eher für eine junge Generation der Whisky-Brenner, ähnlich wie einst die Kilchoman Distillery auf Islay gestartet hat.
Mein Reiseführer Äußere Hebriden
Auf 304 Seiten beschreibe ich die Inseln Lewis, Harris, North und South Uist, Benbecula, Barra und Vatersay. Außerdem 7 Touren und 232 Fotos.
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Die Destillerie ist kaum bekannt, die Vermarktung eher dezent. Erst seit 2008 brennt sie ihren Whisky. Die meisten Malts reifen mindestens zehn Jahre. Seit 2018 gibt es Abfüllungen, doch deren Geschmack haute zunächst noch nicht vom Sockel. Mittlerweile gibt es aber Flaschen aus Sherry PX und Madeira Fässern in Fassstärke. Und die lassen sich durchaus trinken. Vor allem Freunde des ungetorften Whiskys kommen dabei auf ihre Kosten.
Besucher werden hier bei der Abhainn Dearg Distillery dafür auf etwas anderes stoßen: auf eine Philosophie, zusammengefasst durch den Satz „from field to bottle“ – „vom Feld bis in die Flasche“. Das heißt: Alles kommt von der Isle of Lewis. Auch die Gerste – und das ist anders als bei den meisten Brennereien, die ihr Korn teilweise aus dem Osten Schottlands oder gar aus dem Ausland importieren lassen. Abhainn Dearg bezieht Gerste von der Melbost Farm bei Stornoway.
Das Wasser schöpft man aus dem namensgebenden Flüsschen, das direkt am Brauhaus vorbeiführt: „Abhainn Dearg“ ist gälisch und bedeutet „roter Fluss“ – ausgesprochen wird das übrigens in etwas „ain dscheräg“. Sogar die Flaschen werden selbst abgefüllt und mit Etiketten beklebt.
Und noch eine Unsitte lässt Abhainn Dearg weg: Dem Whisky wird keine Zuckercouleur zugesetzt, um die Farbe zu verdunkeln. Auch Kaltfiltern kommt den Machern hier nicht in den Sinn.
Ein Besuch hier lohnt sich also für alle die, die schon die romantischen Destillerien hinter sich haben und nun eine Brennerei in der Entstehung an einem abgelegenen Ort sehen möchten. Dann sind sie bei Abhainn Dearg richtig.
Erfahrungsbericht: Die Tour bei Abhainn Dearg
„Siehst Du das Auto, das da gerade wegfährt? Das ist der Besitzer mit den Schlüsseln.“ Zum zweiten Mal stehe ich im Jahr 2014 vor den Türen der Abhainn Dearg Distillery, um sie zu besuchen – und wieder verpasse ich knapp die Zeit. Diesmal, beim dritten Anlauf, klappt es. Wir bekommen eine Tour und es sollte eine der ausgefallensten Whisky-Führungen werden, die ich je hatte.
Denn zum einen: Die Dame, die die Touren macht, war nicht da, so führte uns Marco (der Chef?). Zum anderen: Die Destillerie produziert derzeit nicht. Und das sieht man ihr an. Erst im August dieses Jahres (2023) soll wieder gebrannt werden. Bis dahin liegt noch viel Arbeit vor den Mitarbeitern – auch der Tourguide stand eben noch auf einer Leiter bei der Montage.
So eine Destillerie habe ich noch nie gesehen! Zwar sind die Stationen der Tour im Prinzip dieselben wie bei jeder Whisky Brennerei. Scotch Singe Malt Whisky wird eben auf eine bestimmte Art und Weise gefertigt. Aber die Menge bei Abhainn Dearg ist recht gering und so wird zum Beispiel die Gerste auf einer Art Tisch mit Torffeuer erhitzt – statt wie bei anderen Brennereien auf einem eigenen Dachgeschoss. Der Tisch war bei der Tour auch noch nicht fertig angeschlossen.
Im nächsten Schuppen steht dann die seltsamste Destille, die ich bisher gesehen habe. Sie soll die einstigen illegalen Geräte imitieren – nur eben größer. Allerdings ist deutlich am zustand der Geräte zu erkennen, dass es eine lange Brennpause hier gab.
Derzeit werden die Bottiche ausgetauscht, in denen das Destillat kondensiert wird, die sogenannten Worm Tubs. Normal stehen hier zwei auf den Gestellen, die die beiden Brennblasen flankieren. An dem einen, der noch da ist, zeigt sich, wie stark diese Elemente durch Hitze und Kupfer verschlissen werden. Die Mash Tuns und Washbacks sehen immerhin deutlich besser aus.
Das Schöne an dieser Tour: Erstens authentische Erzählungen, kein auswendig gelerntes Herunterleiern von Marketinggewäsch.
Das kleine Lagerhaus verströmt den üblichen Geruch von Angel’s Share. Doch auch hier sieht alles etwas hemdsärmeliger aus. Und zumindest wir konnten kein Fass finden, das einen Datumsstempel später als 2014 trug.
Die Tour endet dann wieder im ersten Schuppen, dem „Shop“. Verglichen etwa mit der Harris Distellery mit ihren Flaschen, Geschenken und Büchern, gibt es hier eben ein paar Stühle, etwas Honig und ansonsten nur den Whisky. Den dürfen wir dann auch probieren. Pro Führung zwei Drams. Die Whiskys in Fassstärke aus Madeira und Sherry PX Fass sind besonders – auf eine sehr gute Art.
Ich habe den Tourguide Marco am Ende direkt darauf angesprochen, ob und wann wieder produziert wird. Er nannte mir August dieses Jahres. Ich zweifle ein bisschen daran, aber drücke die Daumen, dass es diese besondere Destillerie ganzen im Westen Schottlands noch lange geben wird.
Ist die Führung nun zu empfehlen? Ich finde ja. Aber immer mit dem Gedanken, dass hier alles ein bisschen anders ist.
Wissen: Wie Abhainn Dearg produziert
Abhainn Dearg ist eine kleine Farm Destillerie, die nicht denselben Ausstoß an Whisky produzieren kann, wie eine der großen und bekannten Marken. Im Inneren gibt es zwei Mash Tuns (Maische-Bottiche) mit einer Kapazität von einer halben Tonne. Darin wird das gemahlene Malz gewässert, um den Zucker auszulösen. Bei großen Brennereien fassen die Mash Tuns mehrere Tonnen.
Der Zuckersaft kommt in die zwei Wash Backs, die 7500 Liter aufnehmen können. Dort wird Hefe zugesetzt, damit die Flüssigkeit gärt. Anschließend wird in der ersten Brennblase, der Wash Still gebrannt, die 2112 Liter fasst. Der zweite Brennvorgang findet in der Spirit Still mit 2057 Liter Fassungsvermögen statt. Das Endprodukt wird dann in gebrauchten Bourbon- oder Sherry-Fässern gelagert, bis es endlich Whisky ist.
Früher war Abhainn Dearg übrigens die einzige Destillerie auf den Äußeren Hebriden, doch seit Oktober 2015 gibt es in Tarbert auf Harris die Isle of Harris Distillery, die Whisky und Gin produziert. Und auf Benbecula nehmen im Jahr 2023 die North Uist Distillery und die Benbecula Distillery die Produktion auf für Whisky. Die North Uist Distillery produziert derzeit schon Gin. Auf Barra schickt sich die Isle of Barra Distillers an, neben dem Barra Gin auch bald Whisky zu brennen – Pläne für ein Gebäude gibt es bereits.
Tipp: Der verborgene Strand von Mhangarstadh
Fährt man die Straße nach dem Besuch von Abhainn Dearg noch 1,7 Meilen, also zirka 3 Kilometer, weiter, erscheint am Straßenrand rechts ein Hinweisschild „To the shore“. Hier parken und dem Schild einige Minuten zu Fuß folgen.
Belohnt wird man mit dem kleinen versteckten Strand „Tràigh Mhangarstadh“, einem Sandstrand eingelassen zwischen Klippen und gesprenkelt mit rotbraunen Felsen, die vom klaren blauen Atlantikwasser umspült werden.
Anfahrt:
Mit Navigationsgerät: Die Eingabe von „HS2 9EX“ bringt einen ganz in die Nähe.
Ohne Navi: Den Weg von Stornoway nach Uig kann man hier nachlesen. Nach dem Tal von Valtos weiter auf der Straße B8011 fahren, vorbei am Uig Community Shop, immer weiter bis man über die Brücke über den Abhainn Dearg kommt. Direkt dahinter geht es links auf den kleinen Parkplatz der Destillerie.