Bei Cladh Hallan liegt ein Dorf aus der Bronzezeit versteckt in den Dünen. Darunter haben Archäologen Erstaunliches gefunden: zwei Mumien, zusammengesetzt aus mehreren Körperteilen. Was hat es damit auf sich?
Ein kleines idyllische Dorf hatten die Menschen der Bronzezeit da mitten ins Machair von South Uist gesetzt. Quasi mit Strandlage. Cladh Hallan, so vermuten die Wissenschaftler, bestand einst aus sechs oder sieben Rundhäusern – die typischen Bauten der damaligen Zeit. Deren Mauerwerk war eingelassen in die Erde, der Boden lag unterirdisch, das strohgedeckte Holzdach senkte sich außen bis auf Kniehöhe zum Boden ab.
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In der Zeit von 1100 bis 200 vor Christus war das Dorf bewohnt. Danach deckte der Sand die Bauwerke zu und Cladh Hallan wurde vergessen, bis ein Sturm drei der Häuserreste freilegte. Sehr zur Freude der Archäologen, die dort mit Untersuchungen begannen.
Was das Team um Mike Parker-Pearson dann bei den Ausgrabungen bei Cladh Hallan entdeckte, war eine kleine Sensation. Denn nirgendwo sonst auf den britischen Inseln hatte man bisher Beweise für Mumien gefunden. Und nun lagen da gleich zwei Stück vor ihrer Nase unter einem der Häuser von Cladh Hallan – ein Mann und eine Frau.
Wobei: So stimmt das nicht ganz. Es handelt sich bei der zweiten Mumie mehrheitlich um eine Frau. Tatsächlich war die Mumie nämlich aus mehreren Totenteilen zusammengesetzt: Auf den weiblichen Körper hatten die Bewohner Cladh Hallans einen männlichen Kopf gesetzt und der rechte Arm gehörte wieder einer anderen Person. Woher die Wissenschaftler das wissen? DNA-Analyse hat es in diesem Falle herausgefunden.
Auch die zweite Mumie ist eine Komposition aus mehreren Toten. Auf den Körper eines Mannes, wurde der Kopf eines anderen gesetzt, der wiederum einen Unterkiefer einer dritten Person hatte. Und die Teile stammten noch nicht einmal aus der selben Zeit. In Cladh Hallan scheint also ein echter Dr. Frankenstein am Werk gewesen zu sein. Doch warum?
Mit Sicherheit klären kann das niemand. Doch zumindest stellt Mike Parker-Pearson begründete Vermutungen an. Seine Theorie: In Zeiten, da man keine Ausweise hatte, leiteten die Menschen ihren Anspruch auf Land und Haus von Vorfahren hab. Um diesen Anspruch zu beweisen, behielten sie diese Vorfahren sichtbar bei sich als Mumie. Das Zusammensetzen aus mehreren Vorfahren könnte dann eine Heirat symbolisiert haben.
Natürlich liegen die Mumien heute nicht mehr in Cladh Hallan. Sie werden derzeit durch mehrere Teams untersucht und anschließend einem Museum überstellt.
Der Ausflug nach Cladh Hallan lohnt sich für Geschichtsinteressierte auch ohne Mumien, denn nur selten kann man Bronzezeit-Überreste so frei zugänglich ansehen. Drei Schautafeln erklären dabei alles Wissenswerte zum Dorf.
Wissen: Details zu Dorf und Mumien
Das Dorf bei Cladh Hallan war bewohnt in der Zeit von 1100 bis 200 v. Chr., also von der Bronze- bis hinein in die frühe Eisenzeit. Es erstreckte sich auf einer Länge von 80 Metern und zählte vermutlich sechs oder sieben Häuser insgesamt. Doch der größte Teil des Dorfes liegt noch unter der südlichen Düne vergraben. Das große mittlere Haus, das man heute sehen kann, wurde 900 Jahre durchgehend bewohnt.
Die zwei Mumien wurden beide unter dem Nordhaus gefunden. Man vermutet, dass es eine Art „Haus der Toten“ war.
Bei der männlichen Mumie stammen Kopf und Kiefer zweier Männer aus der Zeit 1400 v. Chr., aber der Torso aus 1500 v. Chr. Begraben wurde der zusammengesetzte Leib erst 400 Jahre später. Er wurde also Jahrhunderte lang oberirdisch aufbewahrt. Bemerkenswert beim Kopf des Mannes: Der Schädel mit Oberkiefer stammt von einem alten Mann ohne Zähne, der Kiefer von einem jungen Mann mit Zähnen.
Bei der weiblichen Mumie stammt der Körper aus einer Zeit zwischen 1310 und 1130 v. Chr. Der männliche Kopf von einem Individuum, das 70 bis 200 Jahre später verstorben ist. Dem Kopf fehlten zwei Zähne, wovon einer jeweils in der linken und rechten Hand des Körpers gefunden wurde. Vermutlich sollte so eine Verbindung hergestellt werden.
Technisch, darauf hatte mich Mike Parker-Pearson allerdings in einer Email hingewiesen, handelt es sich um „formerly mummified skeletons“, also Skelette, deren Körper früher einmal mumifiziert waren. Dazu muss man wissen, dass die Mumien zu der Zeit des Dorfes eben nicht begraben waren, sondern überirdisch aufbewahrt wurden. Erst nach einigen Jahrhunderten legte man sie in den Sand. Und erst dann verwesten sie bis auf die Knochen, die man gefunden hat.
Woher das die Wissenschaftler wissen? Menschliche Knochen sind tatsächlich durchsetzt von kleinen Blutgefäßen. Stirbt ein Mensch, dringen über diese Blutgefäße Bakterien ein und beginnen auch hier einen zerstörerischen Prozess. Bei den Skeletten konnte man diesen Prozess aber nur in den äußeren Schichten erkennen. Die Schlussfolgerung: Der Körper begann zunächst normal zu verfallen, dann wurde dieser Prozess jedoch abrupt gestoppt. Weit später wurden die Mumien im Sand vergraben, wo das Gewebe zerfiel.
Vermutlich wurden zur Mumifizierung die Organe entnommen, der Körper zusammengebunden und in Torf versenkt. So wurde das Gewebe quasi gegerbt. Auch darauf weisen die Knochen hin. Zum einen durch eine für Torf typische Verfärbung, andererseits durch den sichtbaren Abbau bestimmter Mineralien im Knochen, der aber auch nach kurzer Zeit wieder gestoppt wurde.
Die Cladh Hallan Mumien sind die einzigen dieser Art in Großbritannien, man geht davon aus, dass der Vorgang durchaus zu der Zeit auch anderswo gebräuchlich gewesen sein könnte.
Quelle: „The Cladh Hallan mummies“ by Mike Parker-Pearson, published in 2015 in M. Cardin (ed.) Mummies around the World: an encyclopaedia of mummies in history, religion, and popular culture. Santa Barbara CA: ABC-Clio. 67-70
Tipp: Marsch ins Machair bei Cladh Hallan
Die Überreste des Dorfes sind nett anzusehen, doch gibt es an sich keinen Grund für den normalen Touristen dort unbedingt zu halten. Der Ausflug dorthin lohnt sich aber, wenn man es als einen Spaziergang durch das Machair und durch Dünen zum Strand betrachtet.
Dabei sollte man durchaus auch den Himmel im Auge behalten. Denn auf dem Spaziergang kann man mit etwas Glück Greifvögel sehen oder den Zug von Wildgänsen beobachten.
Persönliche Anmerkung: Hilfe von Mike Parker-Pearson
Wenn es um Altertumsforschung der Bronzezeit geht, ist Mike Parker-Pearson ein renommierter Wissenschaftler des UCL Institute of Archaeology, dessen Arbeiten mir bei Recherchen schon häufig begegnet sind. Da ich unbedingt ein Bild einer Mumie haben wollte, habe ich ihn persönlich angeschrieben, hatte aber wenig Hoffnung, eine Antwort zu erhalten. Ich habe mich geirrt.
Innerhalb von sechs Stunden hatte ich nicht nur ein gutes Foto, das ich verwenden darf, sondern auch zusätzliches schriftliches Material. Dafür möchte ich mich auch hier noch einmal bedanken.
Anfahrt:
Mit Navigationsgerät: „HS8 5SS“ bringt einen nach Daliburgh, danach weiter wie unten beschrieben.
Ohne Navi: Kommend von der A865 aus dem Norden geht es bis nach Daliburgh (Dalabrog). Dort kommt ein großes weißes Hinweisschild, das nach Pol a Charra und Eriskay verweist. Hier rechts auf die B888 abbiegen und dann gleich wieder rechts nach Cille Pheadair. Dieser Straße immer weiter bis zum großen Friedhof von Cladh Hallan folgen. Aussteigen und den Weg durch die Dünen suchen.