Wer sich bei Glenbarr Abbey eine Abtei erwartet, wird überrascht. Das Haus und seine Bewohner sind wesentlich spannender als ein altes Kloster.
Update: Derzeit ist Glenbarr Abbey geschlossen, und es scheint wohl auch so zu bleiben.
Schottland Wandkalender 2025 in A3
Zwölf wunderschöne Motive aus Schottland mit der Isle of Skye, Isle of Mull, Stirlingshire und vielen anderen Orten. Alle Seiten hier ansehen:
„Schau mal, Schatz, eine Abtei! Bieg da mal links ab.“ Glenbarr Abbey steht auf dem Schild. Wir biegen links ab von der Hauptstraße und halten Ausschau nach etwas, das aussieht wie ein Kloster. Was wir finden, entspricht allerdings nicht unseren Erwartungen.
Glenbarr Abbey hat die Form einer großen Treppe mit vier Stufen. Ein Haus mit mehreren Flügeln, das dem Gefälle eines Hügels folgt. Sakral ist hier nichts. Das macht uns richtig neugierig: Wie kommt es zu der Bezeichnung und was verbirgt sich in diesem Haus? Wir gehen zum Eingang und erleben unsere nächste Überraschung: Wir müssen klingeln!
Das passt nun gar nicht zu dem, was wir von den üblichen schottischen Visitor Centres gewohnt sind. Nach einiger Wartezeit öffnet eine ältere Dame die Tür und lässt uns eintreten. „Die Lady des Hauses werde gleich erscheinen“, sagt sie und lässt uns in der Eingangshalle stehen. Lady des Hauses? Ohje, welche Adlige haben wir da geweckt? Wir wollten doch nur eine ganz normale Führung!
Wir tun, wie uns geheißen war und warten. Immerhin gibt es hier schon genug zu erkunden:
Beim genaueren Hinsehen, fallen uns schon hier interessante Details auf, wie die Köpfe an den Enden der Ziersäulen:
Endlich erscheint die Dame des Hauses – gekleidet ist sie eigentlich wie eine typische Fremdenführerin, und ebenso offen ist sie uns gegenüber auch. Tatsächlich handelt es sich bei ihr um Jeanne Macalister, Dowager Madam Glenbarr, Witwe des 2007 verstorbenen Angus Charles Macalister. Sie führt uns zunächst die Treppe hinauf, die von dutzenden Hirschgeweihen umrahmt wird. Das wirkt sehr alt. Der lebensgroße Plastikweihnachtsmann am Ende der Treppe hingegen wirkt weniger alt – es ist August!
Sie habe keinen besseren Platz für ihn, meint sie. So langsam schwant uns, dass hier nichts ist, wie in den „normalen“ Sehenswürdigkeiten Schottlands.
Der Stilmix aus kunstvoll alt und kitschig neu wird uns durch das gesamte Haus begleiten, das in jedem Raum fast aus den Nähten platzt. Im Esszimmer etwa reiht sich hinter der stilvoll gedeckten Tafel eine Hundertschaft kitschiger Singfiguren auf – eine Sammelleidenschaft, verrät uns die Lady. Die Figuren stammen aus ihrer Heimat, den USA.
Und so geht es Stück für Stück durch die Zimmer – die Dame nimmt sich wirklich Zeit für uns, geht auf unsere Fragen ein und brilliert manchmal mit goldigem Humor.
Doch warum tut sie das, warum gibt Lady MacAlister selbst Führungen, warum genießt sie nicht die Annehmlichkeiten der Glenbarr Abbey?
Ein Blick an die Zimmerdecken genügt, um zu verstehen: An vielen Stellen sieht man Wasserflecken oder schlimmere Schäden. Das Dach ist undicht. Und das ist nur eine der vielen Reparaturen, die nötig sind, um Glenbarr Abbey instand zu halten. Das Haus gehört auch nicht mehr ihr, sondern dem Clan MacAlister Charitable Trust, also einer Stiftung. Die Lady selbst wohnt seit dem Tod ihres Mannes ganz unten im ehemaligen Kutschenhaus.
Doch Trübsal blasen scheint kein Teil ihres Charakters und so führt sie uns beschwingt in die nächsten Räume, um uns weitere Anekdoten zu erzählen. Über Uniformen, Silber, Puppenhäuser … vielleicht ist sie auch froh, dass sie immer wieder Besucher empfangen kann.
Angenehm dabei: Sie lässt uns wirklich genügend Zeit, damit wir jedes Stück in Ruhe betrachten können. Hier eine Locke von Bonnie Prinz Charlie, dort eine Kriegskeule aus den Tropen. Nicht ein einziges Mal mahnt sie uns zur Eile.
Irgendwann haben wir genug und gehen die Treppe wieder hinunter. Das Highlight hat sich Lady Glenbarr für das Ende aufgehoben: das ehemalige Kinderzimmer.
Ein Meer an Puppen und Teddies flutet hier über die Möbel. Und was noch frei ist, wird durch die mehrere hundert Stück umfassende Sammlung an Fingerhüten aus aller Welt in Beschlag genommen. So einen Raum habe ich noch nie gesehen! Und damit ist es dann auch genug.
Nach einem kurzen Aufenthalt im kleinen Shop, der von der Frau betrieben wird, die uns die Tür geöffnet hatte, und einer herzlichen Verabschiedung von Lady Glenbarr, verlassen wir das Haus.
Es war ein lohnenswerter Stopp auf unserem Weg in den Süden Kintyres. Wir hatten eine Abtei erwartet. Gefunden haben wir jedoch Gastfreundschaft einer humorvollen Dame in einem sehr besonderen Herrenhaus.
Wissen: Geschichte der Glenbarr Abbey
Warum aber heißt dieses Haus nun „Abbey“? War es früher vielleicht einmal tatsächlich eine Abtei?
Nein. Denn als der erste Teil des Hauses um 1700 gebaut wurde, handelte es sich dabei vermutlich um eine Art Raststätte für Reisende. Erst 50 Jahre später wurde ein Herrensitz daraus, den Matthew MacAlister 1796 zusammen mit Ländereien kaufte. Er verpflichtete den bekannten Architekten James Gillespie Graham, der das Haus wesentlich ausbaute und ihm den für damals typischen Scottish Baronial-Stil verlieh. 1815 war der neue Sitz dann fertig. Der alte Name „Barr House“ wurde nun dem neuen Sitz nicht mehr gerecht und MacAlister taufte ihn um in „Glenbarr Abbey“. Dabei den Begriff „Abtei“ zu verwenden war damals wohl Mode. Eine religiöse Nutzung gab es für die Glenbarr Abbey jedoch nie.
Tipp: Sehenswerte Toiletten
Selbst wenn man nur wenig Drang verspürt, lohnt sich der Blick auf die Toilette hinter dem Shop. Uns hat sie jedenfalls von der Einrichtung her überrascht:
Persönliche Anmerkung: Glenbarr Abbey ist fast surreal
Selten habe ich ein derartiges Sammelsurium an Dingen in einem Herrenhaus gesehen. Irgendwo zwischen Kunst und Kitsch. Aber genau das sind mir eben die liebsten Fundstücke in Schottland. Die, die sich eben noch nicht komplett durch professionalisiert mit hunderten Besuchern am Tag vermarkten, sondern noch eine persönliche Note haben. Und die hat Glenbarr Abbey mit ihrer ganz besonderen Dame des Hauses.
Anfahrt:
Mit Navigationsgerät: „PA29 6UT“ bringt einem zum Ort Glenbarr, davor sollte man nur zusehen, dass man den Abzweig zum Herrenhaus findet.
Ohne Navi: Es gibt an sich nur eine große Straße auf Kintyre, das ist die A83 zwischen Tarbert und Campbeltown. Von Tarbert, oder wenn man mit der Islayfähre bei Kennacraig anlegt, nach Süden sind es zirka 30 Minuten, von Campbeltown Richtung Norden zirka 20 Minuten. Dann muss man auf das braune Schild zum „Glenbarr Abbey Visitor Centre“ achten und die Hauptstraße verlassen. Man kommt nach kurzer Zeit über eine Steinbrücke, danach geht es bald rechts rein zum Herrenhaus. Parken kann man direkt davor.
Danke für diesen tollen Tipp. Dein Bericht über Glenbarr Abbey hat mir sehr gut gefallen und hat mich auch Neugierig gemacht. Freue mich schon auf neue Berichte von dir. LG
Genau mit demselben Gedanken sind wir vor Jahren auch dorthin abgebogen und waren genauso verwundert, was wir dort vorfanden. Wir haben noch eine Führung durch Angus erleben dürfen. Als er mitbekommen hat, dass wir Deutsche sind, bemühte er sich im gebrochenen Deutsch die Führung zu machen. Originell und sehr liebenswerte Leute. Eine Besonderheit, die man einfach mal erlebt haben muss! Freut mich hier davon zu lesen.
Freut mich, dass wir da anscheinend den richtigen Nerv getroffen haben, wenn andere es ganz ähnlich sehen. Es gibt nicht viele Geheimtipps in Schottland, aber Glenbarr Abbey würde ich dazu zählen.
Leider ist das Clancentrum inzwischen geschlossen, weil die alte Dame entweder verstorben ist oder es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr machen kann. Der Chef des Clans sitzt in den USA und es findet sich wohl niemand adäquates, der oder die es machen möchten.
Sehr traurig :( Ich hatte auch schon einen Vermerk gesetzt, dass derzeit renoviert wird, denn das steht auf der FB Seite.