Die Gälen nannten ihr Reich „Dál Riata“, aber bei den Römern hießen sie früher „Scoti“. So trägt heute das Land ihren Namen: „Scotland“. Doch wer waren diese Urschotten?
Der Mythos (!) sagt, die Gälen wären aus dem Nord-Osten Irlands gekommen und hätten weite Landstriche im Westen Schottlands besetzt. Als Skoten wurden sie durch die Römer bezeichnet. Im frühen Mittelalter waren sie zu einem Reich gewachsen, das die Westküste Schottlands, Teile der Nordküste Irlands und die dazwischen liegenden Inseln umfasste: Dalriada.
Doch warum ist Dalriada so wichtig?
Die Antwort: Die Kultur, Sprache und auch die christliche Kirche blühten unter den Gälen auf und würde noch Jahrhunderte später die Highlands und ganz Schottland maßgeblich beeinflussen. Die heutige Identität der schottischen Highlands leitet sich noch immer von diesen Urschotten ab.
Dalriada war aber nicht nur für Schottland wichtig. Es gilt heute als eines der bedeutenden Gebiete Europas, in denen frühchristliche Literatur entstand.
Die Gründung Dalriadas – Mythos gegen Wissenschaft
Es gibt einen Gründungsmythos Dalriadas, der durch Aufzeichnungen in christlichen Klöstern verbreitet wurde. Demnach setzte Anfang des sechsten Jahrhundert Fergus Mór McErc- zu deutsch „Fergus der Große, Sohn des Erc“ – mit seinen Nachkommen aus Irland über das Meer. Im Jahre 500 etwa nahm die Westküste Schottlands in Besitz und herrschte über das Reich. Doch diese Version, so vermuten viele Historiker, wurde im Nachhinein als Legitimation für spätere Herrscherhäuser in die Bücher geschrieben, damit diese sich auf einen gemeinsamen Vorfahr berufen konnten. Sogar König James VI von Schottland tat das im 16 Jahrhundert noch.
Heutige Wissenschaftler gehen allerdings davon aus, dass sich Dalriada aus ansässigen Bewohnern entwickelt haben könnte. Dazu passt auch die Bezeichnung „Dál Riata“ – das heißt Übersetzt „Riatas Anteil“. Ein klarer Hinweis auf einen anderen Urvater dieses gälischen Reichs.
Der Einwand dagegen: Die Gälen sprachen nicht die gleiche Zunge wie die Pikten und anderen keltischen Briten. Und weil ja das Meer den irischen vom schottischen Teil Dalriadas abtrennte, muss doch irgendwann eine Invasion stattgefunden haben? Doch es gibt keinerlei durch Ausgrabung belegte Hinweise auf eine Invasion oder Verdrängung.
Die Sache ergibt Sinn, wenn man die Grundlage dieses gälischen Inselreichs begreift: Das Meer war kein Hindernis, sondern – ganz im Gegenteil – eine Schnellstraße, auf der per Schiff gereist werden konnte. Mit dem Handel kamen Sprache und Kultur der beiden Küsten miteinander in Kontakt, und so entwickelte sich ein gemeinsamer Sprachraum. Es gibt mittlerweile sogar Vermutungen, dass von der britischen Insel Bewohner nach Irland gewandert sind – und eben nicht nur anders herum.
Dagegen war das Reich der Pikten und anderer Briten abgetrennt durch hohe Berge wie die Grampians. Sie stellen eine wesentlich größere Sprachbarriere dar als die See. Das zeigte sich auch einige Jahrhundert später wieder, als die Lords of the Isles ihr Inselreich errichteten und wieder von den Wasserstraßen profitierten.
Am Gründungsmythos mit Fergus McErc ist also vermutlich nicht viel dran. Doch warum haben die Geschichtsschreiber der damaligen Zeit solche Desinformationen überhaupt in die Welt gesetzt?
Das frühe Dalriada hieß Corcu Réti
Als im 6. Jahrhundert Fergus über das Meer gekommen sein soll, herrschte vermutlich eine Verbindung zweier Familiengruppen über die Gebiete: Cenél nGabráin und Cenél Comgaill. Sie beriefen sich auf einen gemeinsamen Vorfahren namens Réti und waren daher bekannt als „Corcu Réti“. Zwistigkeiten schwächten diesen Verband jedoch bald und eine dritte Gruppe erstarkte, die zirka im 7. Jahrhundert die Herrschaft an sich riss.
Für Herrscher war es damals wichtig, dass sie sich auf einen Vorfahren berufen konnten und so ihren Anspruch auf die Königswürde herleiten konnten. Diese dritte Gruppe, der Cenél Loairn, etablierte daher Gründungsmythos von Fergus, um ihre Rechte daraus herzuleiten. Es war also Geschichtsfälschung mit Machthintergrund.
Ausdehnung und Größe Dalraidas
In den Jahren 500 bis etwa 800 erstreckte sich Dalriada hauptsächlich über Inseln und Küstenabschnitte. So gehörte ein Teil der Nord-Ostküste Irlands genauso dazu, wie Teile der Westküste des heutigen Schottlands und die Inseln Mull, Islay und später Skye. Auch Iona – die Insel mit dem wichtigen und berühmten Kloster des heiligen Columba – war Teil von Dalriada. Die Skoten waren also geübte Seefahrer und konnten die meisten Reisen in ihrem Reich bequem und schnell mit Booten zurücklegen.
Das Macht-Zentrum des schottischen Dalriada bildete die Felsenfestung von Dunadd, gelegen im heutigen Argyll und Bute.
Im Gegensatz zu den Nachbarn Dalriadas, den Pikten, existieren zur Bevölkerung und Streitmacht detaillierte Aufzeichnungen. Der Senchus Fer nAlban gibt detaillierter Auskunft über die Stärke der einzelnen Cenéla. Zirka 2.000 Soldaten umfasste die Armee und weit über hundert Boote. Man vermutet die gesamte Einwohnerzahl des Reichs auf etwa 10.000 Menschen.
Dalriadas Blütezeit – Beutezüge bis zu den Orkneys
Im Jahr 574 krönte der Heilige Columba von Iona persönlich Aedan mac Gabhrann zum König. Unter diesem Herrscher erreichte Dalriada um 600 herum seine größte Ausdehnung; Gabhrann rang den Pikten Land ab. Außerdem schuf er eine Kriegsflotte, mit der er Beutezüge auf den Orkneys im Norden und der Isle of Man im Süden unternahm.
Größer sollte Dalriada jedoch nicht mehr werden. Aedan mac Gabhranns Sohn nahm zwar noch Teile von Skye in Beschlag, doch Gebiete im Süden musste er bereits wieder abtreten.
Schon Gabhranns Enkel verlor schließlich Schlacht um Schlacht und büßte Territorium ein. Mitte des siebten Jahrhunderts kam Dalriada schließlich unter Herrschaft des Königreichs von Northumbrien.
Im Jahr 736 gelang es den Pikten sogar das Machtzentrum Dunadd zu überrennen und die Herrschaft an sich zu reißen. Ab hier wissen die Historiker nicht mehr viel über Dalriada. Doch es sollte bald wieder von sich reden machen …
Dalriadas lebendiges Erbe
Zunächst spielte Dalriada im Sinne einer Kriegsmacht keine große Rolle mehr. Doch existierte seine Herrschaftslinie weiter. König Alpin MacEchdach versuchte um 800 herum wieder mit kriegerischen Mitteln gegen die Pikten anzugehen – wenig erfolgreich, er wurde im Jahr 834 von ihnen enthauptet und zur Schau gestellt.
Und nun geht es wieder ins Reich der Legenden: Sein Sohn sollte mehr Glück haben, aufgrund einer Eigenheit der piktischen Erbfolge. Denn bei den Pikten wurde der Herrschaftsanspruch mütterlicherseits vererbt. Da Alpin MacEchdach mit einer piktischen Prinzessin verheiratet war, ging deren Erbe auf seinen Sohn Kenneth Mac Alpin über. Diesen Anspruch unterstützten sowohl Pikten als auch die Gälen, so setzte sich Kenneth durch. Unter Kenneth MacAlpin also vollzog sich 844 die Einheit des Reichs der Pikten und Gälen von Dalriada.
Doch auch hier haben die Historiker mittlerweile schwere Zweifel an der Geschichte. Wesentlich wahrscheinlicher ist es nämlich, dass Kenneth ein astreiner Pikte war und ihm wieder einmal später angedichtet wurde, dass er den Herrschaftsanspruch für beide Reiche rechtens innehatte. Denn auch auf Kenneth beriefen sich später wieder Könige.
Egal wie, man hatte mittlerweile sowieso einen gemeinsamen Feind von Außen: Die Wikinger bedrohten von Norden und Westen das Land, nahmen dort Inseln und Küstenabschnitte in Besitz und plünderten sogar das heilige Kloster von Iona. So brachten die Gälen die Relikte ihrer Heiligen in Sicherheit, transportierten sie ins piktische Kernland und ließen sich dort nieder.
Der Bedrohung der Wikinger stand ein vereintes Reich aus Pikten und Kelten gegenüber: Das Reich Alba, das erste schottische Reich. Und obwohl die Pikten lange kriegerisch den Einwohnern Dalriadas überlegen waren, setzte sich dennoch die Sprache, Musik und Kultur der Gälen durch – und auch das spätere Clansystem beruht auf den Familieneinheiten der Gälen aus dieser Zeit. Die gälische Sprache und Musik ist sogar noch heute in den Highlands lebendig. Über das Piktische dagegen weiß man heute so gut wie nichts.
Übrigens: Im Westen, in Stammgebiet Dalriadas, sollte sich nach nur wenigen Jahrhunderten wieder ein neues, gälisches Reich bilden – das Territorium der „Lords of the Isles“ … doch das ist eine andere Geschichte.
Sehr aufschlussreicher und interessanter Artikel, vielen Dank dafür! Im Übrigen ein großes Lob für Ihre Weibseite :)
Ein sehr guter Artikel! Dann gilt demnach wohl stark vereinfacht: Pikten + Kelten = „Urschotten“? Wie „keltisch“ waren die Pikten und wie „piktisch“ die Kelten? Wie groß waren die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten, so es vor der Vereinigung von Pikten und Kelten welche gab? Gibt es Fortschritte in der Forschung? Und was weiß man mittlerweile über die Menschen, die lange vor den Pikten und Kelten im schottischen Kernland lebten? Gibt es vielleicht sogar eine historische Verbindung zwischen den Skythen und den Pikten beziehungsweise Kelten? Einige, vor allem russische Forscher, vermuten dies anhand des Zeithorizontes sowie verschiedener, kultureller Parallelen, vor allem der an skythischen Mumien vorgefundenen Tatoomotive und der komplexen, animistischen Ornamente auf vielerlei Gebrauchsartikeln, Grabbeigaben und Waffen. Ein Artikel über diese Themen ist bestimmt auch ganz interessant. Sla’on.
Hallo,
danke für das Lob. :o)
Zu den Fragen/Anmerkungen:
– Das Wort „urschottisch“ finde ich schwierig. Denn es ist die Frage, wo wir hier den Zeitbereich definieren, also ab wann und wo man „schottisch“ war. Nur ein Beispiel: Neben dem schottischen Reich existierten die Lords of the Isles, die sich dem bereits existierenden Schottland nur schwer unterordneten. Der kulturelle Unterschied zwischen Highland und Lowland ist heute noch spürbar. Ich persönlich würde also immer davon ausgehen, dass ein Volk aus unterschiedlichen Kulturen besteht. Ab wann dann etwas eine Identität erhält, die „schottisch“ ist, ist eine gute Frage. Was gibt eine Identität? Der Blick von Außen? Ein gemeinsamer Feind? Ein definierter Vertrag? Ein Zusammenwachsen der Kulturen?
– Waren die Pikten Kelten? Vermutlich. Im Gegensatz zu den Gälen, gehörte Ihr Sprache wohl eher zum P-Keltischen wie dem heutigen walisisch. Viele Worte im Osten Schottlands weisen auf piktische Namen hin, wie das Wort „Aber“ in Aberdeen. Dazu empfehle ich meine Seite zu den Pikten: https://www.myhighlands.de/highlands-wissen/die-pikten-schottlands-geheimnisvolles-urvolk/
Insgesamt gibt es hier interessante Literatur wie „Blood of the Celts“, das Ergebnisse aus DNA-Forschung mit einbezieht.
– Zu Skythen heißt es in In Blood of the Celts: „So the Scythians were not the ancestors of the Celts. They spoke languages from an entirely different branch of the Indo-European family. Furthermore, the predominant Y-DNA signature found in ancient Scythians was R1a,71 while that of Celtic-speakers is R1b. In the next chapter we follow a trail of clues from the steppe to the homelands of the Celts.“
Sie hatten aber wohl einen Einfluss auf die Vorfahren, nämlich in Kunst und auch durch den Verdrängungsdruck, den sie ausübten: „The Cimmerians fled west and south under the pressure of Scythian advances. Both peoples were Indo-European steppe nomads.“ In sofern gab es sicherlich Verbindungen, aber die Skythen waren genetisch nicht die Vorfahren der Kelten laut diesem Buch.
Viele Grüße
Stephan