Ein Meisterwerk unter den Keltenkreuzen. Das Kildalton Cross stammt aus dem 9. Jahrhundert und hat während der Jahrhunderte ein grausiges Geheimnis bewahrt.
Mit so einem grausigen Fund hatten sie nicht gerechnet: Verstümmelte Skelette unter diesem wunderschönen Kreuz? Was war hier nur passiert?
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John Ramsay war ein wohlhabender Mann: Mitglied des Parlaments, Besitzer der Port Ellen Destillerie auf Islay und Erbe beträchtlicher Vermögen. Und er verstand sich als ein Bewahrer der alten Kulturgüter Islays. Als er erfuhr, dass das über tausend Jahre alte Kildalton Kreuz sich gefährlich neigte und gar drohte umzustürzen, beschloss er im Jahr 1862 es neu aufrichten zu lassen.
Er und einige Experten aus Edinburgh machten sich ans Werk. Zunächst musste das Kildalton Cross herausgehoben werden, um es dann erneut ins Fundament zu stellen. Zwar stand es auf einem Freidhof nahe der gleichnamigen Kirche, doch war es sicherlich kein Grabstein. Darum das Erstaunen, als die Gruppe unter dem großen ein weiteres, kleineres Kreuz fand und darunter wiederum menschliche Überreste: das Skelett eines Mann und einer Frau.
Der Mann schien eines gewaltsamen Todes gestorben zu sein.
Dieser Fund war Ausgangspunkt einer Legende, die sich um das Kildalton Cross entspann: Der Mann sei vermutlich einem grausamen Wikinger-Rituals ausgesetzt gewesen, dem „Blut Adler“ oder „Blutaar“. Dabei wurde das Opfer mit dem Gesicht nach unten auf den Boden fixiert, ihm dann die Rückenrippen bei der Wirbelsäule aufgetrennt und nach außen geklappt – eben wie Schwingen. Alles während er noch lebte, versteht sich.
Ob das wirklich so war, ist nicht ganz klar, Wissenschaftler wie Prof. Roberta Frank von der Toronto University zweifelten schon 1984 an, ob es den Blutadler wirklich gab, obwohl er zum Beispiel so in der Orkney-Saga beschrieben wurde. Doch die meisten Berichte stammten von späteren christlichen Quellen, die gerne den heidnischen Vorfahren alle erdenklichen Grausamkeiten unterstellten. Dass die Wikinger zu dieser Zeit auf Islay plünderten und später auch herrschten, gilt allerdings als sicher.
Trotz des Fundes ließen sich Ramsey und seine Kollegen nicht von ihrem eigentlichen Werk abhalten. Sie stellten das Kreuz wieder aufrecht hin und umfassten es mit einer Steinstufe, die ihm mehr Stabilität verleiht.
Dank Ramseys Einsatz können wir auch rund 150 Jahre später noch den Anblick dieses Meisterwerks genießen.
Wissen: Über das Kildalton Cross und die Kirche
Das Kreuz wird auf die zweite Hälfte der 800er Jahre geschätzt. Es ist 2,65 Meter hoch und hat eine Spannweite von 1,32 Metern. Es gilt als ein Beispiel für die grandiose Steinmetzkust zu dieser Zeit in Schottland und ist eng verwandt mit den Kreuzen auf Iona, der Insel bei Mull, von der aus im 9. Jahrhundert die Christianisierung Schottlands ausging.
Die Ornamente und Symbole sind auch heute – trotz Verwitterung – gut zu erkennen. Alle Figuren auf der Oberfläche beziehen sich auf Opferbereitschaft gegenüber Gott. So ist dort auf einem Arm die Opferung Isaaks durch Abraham dargestellt.
Sieht man sich das Kreuz an, bemerkt man schnell, dass es nicht symmetrisch ist sondern „schief“. Man sollte sich allerdings hüten hier über den Steinmetz zu lachen. Der hat aus Stabilitätsgründen nämlich an der Maserung des Steins entlang gearbeitet, die selbst nicht ganz gerade verläuft. Hohe Kunst also!
Das Kreuz steht neben der Kildalton Old Parish Church auf der Insel Islay, die ein Teil der inneren Hebriden vor Schottland ist. Auf der anderen Seite der Straße steht ein weiteres kleineres Kreuz, das im späten Mittelalter errichtet wurde und unvollendet blieb.
Um dieses Kreuz rankt sich die Legende, dass es das Grab eines Kriminellen markiere, da es außerhalb der Friedhofsmauern stehe. Es wird darum auch „the Thief’s Cross“ – „das Kreuz des Diebes“ genannt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es im Mittelalter von einem Würdenträger errichtet wurde.
Das Wort Kildalton leitet sich vom Gälischen „Cill Daltan“ ab, das so viel bedeutet wie „Kirche des Schülers“, wobei das hier eher im Sinne eines „Jüngers“ von Christus gemeint ist. Vermutlich ist Kildalton dem Evangelisten Johannes geweiht, der als Lieblingsjünger Jesu galt. Das Gebäude soll bereits seit dem 12. oder 13. Jahrhundert hier stehen.
Im Inneren finden sich mittelalterliche Grabplatten, deren Gravur denen von Finlaggan ähneln.
Persönliche Anmerkung: Einsamer Friedhof im Nichts
Auch ohne die Gruselgeschichte um das Kreuz, hat sich der Ort für mich unheimlich angefühlt. Es ist eben recht einsam dort, hinter der Kirche steht ein Wäldchen, der ummauerte Friedhof mit dem Kreuz tut sein übriges… brrrr.
Beim zweiten Mal, als ich hier war, hatten wir hier eine wunderbare Sonnenuntergangsstimmung.
Tipp: Guter Platz für Fotos und Kuchen in der Honesty Box
Um ein gutes Bild von Kirche und Kreuz in einem zu machen, geht man am besten auf die Felsen oberhalb des Parkplatzes. Dort schafft man es über die Friedhofsmauer in den Friedhof zu schauen und gleichzeitig das Gebäude gut zu sehen.
Islay-Spezialist Armin weist noch darauf hin, dass es am Kildalton Cross im Sommer eine Honesty Box mit Kaffee, Tee und Kuchen gibt. Eine Honesty Box ist ein unbesetzter Verkaufsstand mit einer Kasse, in die die Besucher dann auf Vertrauensbasis den festgesetzten Preis einzahlen.
Anfahrt:
Mit Navigationsgerät: Als Ortseingabe „PA42 7EE“, dann aber den Abzweig nach Rechts nicht verpassen.
Ohne Navi: Von Port Ellen den Wegweisern nach Ardbeg auf der A846 folgen. Dabei passiert man übrigens die Destillerien von Laphroig und Lagavulin. Bei der Destillerie von Ardbeg steht dann bereits ein braunes Schild, das das Kildalton Cross ausweist. Achtung: Ab jetzt ist die Straße nichts für schwache Nerven. Zwar ist die Gegend traumhaft schön, doch gibt es einige unübersichtliche Stellen auf der einspurigen Straße. Nach etwa 6 Kilometern dann noch einmal rechts abbiegen, die Kirche und das Kreuz liegen dann rechter Hand. Dort ist auch ein asphaltierter Parkplatz.