Eine kleine Kapelle mit Friedhof hütet uralte und wunderschöne Steinmetzarbeiten aus Schottland. Ein Besuch bei Kirkmichael auf der Black Isle.
Edinburgh Castle, Burg Urquhart, Culloden – das sind große Touristenmagnete in Schottland. Hochprofessionell geführt mit ebenso hohen Eintrittspreisen wird dort die schottische Geschichte lebendig gehalten. Und doch fühlt es sich eben manchmal an wie ein Massenbetrieb, zu viele Menschen. Darum schätzen viele Schottlandreisende mehr und mehr die unbekannten Kleinode – Kirkmichael auf der Black Isle ist so ein Kleinod.
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Bei Kirkmichael handelt es sich um eine kleine Kapelle mit einem alten Friedhof. Das Besondere: Die Grabsteine gehören zu den feinsten Arbeiten, die Steinmetze des Mittelalters hervorbrachten. Und der Raum der Kapelle gibt ihnen Platz für ihre Geschichte.
Ich hätte von Kirkmichael vermutlich nie erfahren, hätte mich meine Gälisch-Lehrerin nicht auf einen Besuch dorthin mitgenommen. Als wir ankamen: Kein einziger Besucher, aber zwei Männer, die sich aufgeregt über einen Trittstein in der Mauer beugen und diskutieren.
Warum? Weil sie gerade Namen auf den Trittsteinen entdeckt hatten. Auf der einen Seite der Mauer lugt ein männlicher Name heraus, auf der anderen Seite ein weiblicher. Was heute als Trittstein fungierte, war einst der Grabstein eines Ehepaars.
Die beiden Männer gehören zum Kirkmichael Trust, der sich um den Wiederaufbau und Erhalt der kleinen Kirche und des Friedhofs kümmert. Und Grabsteine sind hier ein beherrschendes Thema. Geschichte wird hier oft „ausgegraben“. Ob sie nun in einer Steinmauer gefangen ist oder unter dem Gras liegt – was bei vielen Grabsteinen der Fall war.
Die Grabsteine bei Kirkmichael zeigen fast eine Zeitreise durch die jeweiligen Moden der Jahrhunderte. Stundenlang kann man sich die unterschiedlichen Bauweisen und Verzierungen ansehen. In wiederaufgebauten Kirche erfahren wir dank Info-Tafeln dann auch alle Details zu den Steinmetzarbeiten und zu den hier lebenden Familien.
Vor der Reformation etwa waren die Grabsteine meist mit Symbolen verziert wie Schwertern, Fleur-de-Lis (das sind heraldische Lilien), Ästen, Treppenstufen und Kreuzen. Die Treppenstufen sollten an den Kalvarienberg erinnern, Golgatha, auf dem Christus gekreuzigt wurde. Die Fleur-de-Lis stehen für Reinheit, die Äste für das Leben und das Kreuz Christi; der Sinn der Schwerter ist nicht ganz klar.
Diese Grabsteine haben heute Seltenheitswert. Die meisten ihrer Art wurden zerstört – ob durch die Reformation oder einfach durch Zeit und Wetter. Die Exemplare von Kirkmichael wurden in die Kapelle zurückgebracht, wo sie Schutz finden. Und eine Replik zeigt, wie sie einst wohl ausgesehen haben mochten.
Grabsteine aus der Periode nach der Reformation um 1560 lassen sich einfach identifzieren, erklärt mir meine Gälischlehrerin. Die Steinmetzarbeiten zeigen dann düstere Motive: Schädel, Skelette, Knochen und ablaufende Sanduhren nahmen den Platz auf den Grabmälern ein. Hoffnung gaben nur die Posaunen der Auferstehung und einige Engel.
In der Kapelle sehen Besucher noch einen weiteren „Modeschritt“ der Grabsteine. Wie meine Gälischlehrerin es beschreibt: Klassisch, elegant, urban, modern – bewusst nicht lokal. Das Grab von George Gun Munro wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Londoner Bildhauer Charles Regnart geschaffen. Es zeigt völlig andere Symbole wie die Schlange, die sich selbst verschlingt als Zeichen der Ewigkeit.
Noch einen Wandel gab es: Friedhöfe um Kirchen herum kamen ebenfalls erst nach der Reformation in Mode. Davor waren die wichtigen Menschen innerhalb des Kirchengebäudes begraben. Draußen also sehen Besucher weitere interessante Gräber.
Im 18. Jahrhundert draußen in Mode: Tablestones – das sind Grabplatten auf Beinen. Allerdings sinken die Beine mit der Zeit in den Untergrund ab und sind oft nicht mehr sichtbar. Auf dem Friedhof von Kirkmichael schon noch.
Wer viel Einfluss und Geld hatte, ließ sich gar ein Mausoleum errichten. Bei Kirkmichael haben sich die Grants of Ardoch 1680 ein solches errichten lassen. Und auch hier erkennt man die Renovierungen des Kirkmichael Trust.
Ganz hinten im Eck des Friedhof, wo der Blick schon über das Wasser des Cromarty Firth mit seinen Bohrinseln streift, entdecken wir einen weiteren Grabstein. Klein und unauffällig trägt er die Jahreszahl 2017.
Hier, so erklärt mir meine Gälischlehrerin, wurden all die Gebeine begraben, die während der Renovierung des Friedhofs und dem Anlegen der Wege gefunden wurden. Und das mit allen Respekt vor den Toten.
Wissen: Die Geschichte von Kirkmichael
Genug von den Grabsteinen. Was hat es denn mit der kleinen Kapelle auf sich? Zum einen war sie einst wesentlich größer. Was wir heute als Gebäude sehen, war nur ein Teil eines Gebäudes mit kleinem Glockenturm und Kirchenschiff. Das lässt sich zum Beispiel auch am Mauerbogen vor der Kapelle sehen, der einst zu einem inneren Grab gehörte, wie sie auch noch in der Fortrose Cathedral ganz in der Nähe zu sehen sind.
Zumindest ab dem 15. Jahrhundert hat sich um Kirkmichael eine Gemeinde versammelt. 1769 aber übernahm das nahe Resolis diese Rolle und Kirkmichael wurde als Mausoleum genutzt. Bis 1906 stand sogar noch die Wand samt Glockenturm. Doch rund hundert Jahre später war der Rest des Gebäudes in erbärmlichem Zustand: das Dach war eingebrochen und die Wände mussten gestützt werden.
Dass Besucher heute in das Gebäude können, dort Infos und Ausstellungsstücke sehen, ist alleine der Erfolg des Kirkmichael Trusts, der aus Freiwilligen der Region besteht. Sie haben auch die Ausgrabungen durchgeführt, allerdings unter professioneller Aufsicht. Was für eine Hingabe an die Heimatpflege.
Tipp: Vor dem Besuch die Faltblätter ansehen
Es gibt noch mehr Geschichten auf dem Friedhof zu finden. Auf der Seite des Kirkmichael Trusts gibt es daher drei Faltblätter als PDFs zum Herunterladen. Sie sind hier zu finden.
Übrigens: Fährt man die kleine Straße direkt vor der Kirkmichael nach Norden, kommt rechts ein Aussichtspunkt über den Cromarty Firth, kurz bevor die Straße nach links Richtung Resolis schwenkt.
Anfahrt:
Mit Navigationsgerät: Postcode „IV7 8LQ“ eingeben, das bringt einen in die Nähe.
Ohne Navi: Von Inverness aus auf die A9 Richtung Thurso über die Kessock-Bridge und weiter bis Culbokie ausgeschildert ist. Hier rechts abbiegen auf die B9169. Durch Culbokie hindurch immer geradeaus durch Resolis. Bei Balblair kurvt die Straße nach Süden. Links erscheint dann bald an einem Abzweig Kirkmichael. In die Abzweigung einbiegen und parken.
Wenn man schon in der Gegend ist, empfehle ich einen Besuch in dem Städtchen Cromarty. Dort gibt es einen audiounterstützten Rundgang durch die Geschichte. (Bekommt man im Cromarty Courthouse) Am Ende kann man noch einen Abstecher zum alten Friedhof oben auf einem Hügel machen. Dort findet man auch eine ganze Reihe dieser alten Grabsteine. Er ist nicht ausgeschildert. Aber man findet ihn leicht, wenn man an der East Church vorbei – Miller Rd – in den Causeway geht – am Spielfeld (links) vorbei geradeaus bis rechts ein Torbogen kommt. Gegenüber geht ein kleiner Weg den Hügel rauf. Dort ist der Friedhof.
Danke, toller Tipp, werde ich beim nächsten Mal machen.
Ich war jetzt, nach vielen Jahren, wieder in Cromarty. Leider musste ich sehen, dass der alte Friedhof aufgeräumt wurde. Sprich: Steine wurden begradigt, die Gruft zugeschüttet, ein guter Teil in grüne Wiese verändert und Bäume gefällt. Der alte Friedhof ist zwar immer noch einen Besuch wert, aber leider nicht mehr so „mystisch“ wie ich ihn dereinst erlebt hatte.
Danke für den tollen Beitrag. Leider ist meine Oma verstorben. Bin am Ideensammlung wegen des Grabmals. Diese schöne Bilder waren sehr hilfreich für mich. Danke.