SWUUUSCH! Es ist ein beängstigendes Geräusch, als die große Raubmöwe auf Kopfeshöhe nur wenige Meter entfernt an uns vorbei segelt. Wir werden angegriffen – von Vögeln!
Es klingt ein bisschen wie ein Lenkdrache, der knapp über dem Boden gezogen wird. SWUSCH. Sie ist immer noch da und wir bekommen es langsam mit der Angst zu tun. Raubmöwen – oder Skuas, wie sie in Schottland meist genannt werden – sind große Tiere, Spannweite bis bis zu eineinhalb Meter. Und so ein fliegender Koloss hat es gerade auf uns abgesehen, umkreist uns, nähert sich immer mehr.
Schottland Wandkalender 2025 in A3
Zwölf wunderschöne Motive aus Schottland mit der Isle of Skye, Isle of Mull, Stirlingshire und vielen anderen Orten. Alle Seiten hier ansehen:
Wir sind auf Hirta, einer der St Kilda-Inseln. St Kilda ist ein Archipel voller Vögel: Basstölpel, Papageientaucher, Eissturmvögel – und leider auch Raubmöwen. Sie sind mit Vorliebe dort, wo andere Vögel leben, denn sie überfallen ihre Nachbarn, wenn sie mit Beute beladen zurückkommen und jagen ihnen das Essen ab. Aggression gehört zu ihrem Konzept.
Diese Aggression bekommen wir nun zu spüren, als wir den Berg Connachair hochwandern. Ganz in der Nähe ist nämlich die große Klippe der Insel, in der unzählige Vogelpaare gerade ihre Kinder großziehen. Und Skuas nisten immer in der Nähe ihrer Opfer, allerdings nicht auf Klippen, sondern in Geröll oder Vertiefungen auf dem normalen Boden – wie hier, am Berghang, den wir gerade besteigen.
Die Nester der Raubmöwe sind nicht ausgepolstert und darum so gut wie gar nicht zu sehen. Doch nähert man sich einem Jungtier, fangen die Skuas an, den Eindringlig zu attackieren.
Im Augenblick sind wir der Eindringling!
SWUUUSCH! Wieder umkreist uns die Möwe. Noch näher diesmal, dann beginnt sie auf unsere Köpfe zu zielen, verfehlt sie nur um Haaresbreite. Je näher man dem Nest kommt, desto aggressiver die Abwehr. Wir sind dem Nest wohl sehr nah, wir ahnen gar nicht wie nah. Nur: Wir wollen das gar nicht, haben doch schon die Richtung geändert.
Das Problem: Der ganze Berg ist Nistplatz für die Raubmöwen. Sobald wir uns von dem einem Nest entfernen, nähern wir uns schon dem nächsten. Wir können weder vor, noch zurück – nur mittendurch.
„Schau doch mal!“ ruft meine Frau plötzlich aufgeregt. Aufgeregt winkt sie mir zu. „Ich wäre fast hineingetreten“.
Ich muss schon dreimal hinsehen, doch dann erkenne ich es: Ein kleines felliges Etwas liegt hinter einen Stein. Ein Skua-Küken. Zwei Gedanken schießen mir gleichzeitig durch den Kopf: „Ich muss ein Foto machen!“ und „Die Eltern werden uns umbringen!“ Mit zitternder Hand nehme ich den Winzling auf die Speicherkarte auf, leider nicht ganz scharf in der Aufregung:
Danach machen wir uns wieder auf den Weg, die Jacken über dem Kopf. Als uns schließlich ein anderer Wanderer entgegen kommt, wundern wir uns über seine Haltung:
Für den Angriff scheint der Mann ganz entspannt, nur warum hält er die Hände in Gebetshaltung nach oben?
Im Dorf, endlich in Sicherheit, erfahren wir von anderen Wanderern, was es mit der seltsamen Haltung des Mannes auf sich hatte: Raubmöwen greifen stets den höchsten Punkt des Gegners an – das ist normalerweise der Kopf. Davon lenkt man sie mit den Händen ab – oder noch besser: Man hält einen Wanderstock oder ein Stativ in die Luft, dann hat man Ruhe.
Schade, dass wir das erst jetzt erfahren.